Wachsende Ungleichheit der Lebenseinkommen in Deutschland

Quelle: Timm Bönke und Holger Lüthen, DIW Wochenbericht 49/2014, Abbildung 4. Eine Analyse von Forschern der FU Berlin zeigt, dass in Deutschland die Einkommen über den Lebensverlauf bei jüngeren Generationen deutlich ungleicher verteilt sind als bei älteren Generationen – und das allein innerhalb der Lohneinkommen. Einkommen aus Kapitalerträgen oder Selbstständigkeit, aber auch aus staatlichen Transfers, werden nicht betrachtet. Damit kommt ein weiterer wichtiger Baustein hinzu, der zeigt, dass in Deutschland die Ungleichheit zugenommen hat. Es ist zu erwarten, dass sich diese Zunahme der Ungleichheit durch Erbschaften in eine zunehmende Konzentration der Vermögen übersetzen wird.

Während bestimmte Kreise immer wieder versuchen, die Zunahme der Ungleichheit in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu relativieren, weisen eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen der letzten Monate darauf hin, dass die Ungleichheitszunahme in Deutschland sehr wohl klar messbar ist.

Einige Posts auf Verteilungsfrage haben darüber berichtet:

  • So ist die kurzfristige Unterbrechung der Ungleichheitszunahme, die im Gini der Haushaltseinkommen sichtbar wird, in den letzten Jahren vor allem durch den vorübergehenden Einbruch der Kapitaleinkomen durch die Finanzkrise zu erklären. Rechnet man dies heraus hat auch nach 2005 die Ungleichheit weiter zugenommen.
  • Außerdem führen zahlreiche Datenprobleme (Untererfassung der Reichen bei freiwilligen Haushaltsbefragungen; schlechte Daten zu Kapitaleinkommen wegen Abgeltungssteuer) dazu, dass die Ungleichheit tendenziell unterschätzt wird – und Thomas Pikettys Analyse deutet darauf hin, dass uns ein weiterer Anstieg der Ungleichheit bevorsteht, wenn nicht politisch gegengesteuert wird, wie hier nachzulesen war

Wachsende Ungleichheit der Lebenseinkommen

Betrachtet man bei der Ungleichheitsanalyse nun nicht einfach die Einkommen zwischen allen Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern die Einkommen, die Menschen im gesamten Verlauf ihres Lebens verdienen, so findet man zunächst einmal eine deutlich geringere Ungleichheit als im einfachen zeitlichen Querschnitt.

Der zentrale Grund ist, dass viele junge Menschen zunächst – wenn überhaupt – ein geringeres Gehalt bekommen und Menschen im Alter in der Regel wieder ein niedrigeres Einkommen haben. So haben diese Menschen über den Lebensverlauf betrachtet jährlich ein größeres Einkommen als in jungen und hohen Jahren. Verteilt man also diese Ungleichheit im Leben einer einzelnen Person statistisch um, indem man das Lebenseinkommen betrachtet, so reduziert sich statistisch auch die Ungleichheit, die man insgesamt im Querschnitt misst – da ja bei einer Umfrage zufällig ausgewählter Altersgruppen immer Menschen aus verschiedenen Altern und damit auch zu verschiedenen Zeitpunkten ihres Einkommenszyklus erfasst werden.

Soweit so gut. Dies ändert nun nichts an den tatsächlichen Ungleichheitsverhältnissen, sondern es differenziert nur den Blick auf diese Ungleichheit. Die spannende Frage ist allerdings, wie sich die Ungleichheit im Zeitverlauf verändert hat. Bei den Lebenseinkommen betrifft dies also die Entwicklung über verschiedene Generationen hinweg.

Genau dies haben die Forscher von der FU Berlin gemacht. Sie haben anhand von Daten aus der Sozialversicherung die Ungleichheit der Lebenseinkommen verschiedener Geburtenjahrgänge verglichen. Und sind zu dem Schluss gekommen: Die Ungleichheit der Lebenseinkommen jüngerer Generationen hat gegenüber der Ungleichheit zwischen älteren Generationen zugenommen.

Ein Teil davon (ca. 20-40%) lässt sich durch längere Arbeitslosigkeit im Lebensverlauf jüngerer Generationen erklären. Wer in den 1930er Jahren geboren wurde, war über die Erwerbslaufbahn – statistisch gesehen – weniger von Arbeitslosigkeit betroffen, als wer in den 1970er Jahren geboren wurde.

Die zentrale Erklärung für den Anstieg der Ungleichheit zwischen den Lebenseinkommen liegt jedoch direkt in der wachsenden Lohnspreizung. Sie ist für 60-80% des Auseinanderdriftens verantwortlich.

Folgende Abbildung illustriert die Zunahme der Ungleichheit der Lebenseinkommen:

Quelle: Timm Bönke und Holger Lüthen, DIW Wochenbericht 49/2014, Abbildung 4.

Quelle: Timm Bönke und Holger Lüthen, DIW Wochenbericht 49/2014, Abbildung 4.

Hinweise zur Abbildung:

  • Auf der horizontalen Achse sind die Geburtsjahre der erfassten Personen abgetragen.
  • Die drei Graphen zeigen jeweils die Entwicklung der Lebenseinkommen ausgewählter Teile in der Verteilung:
      • Die obere Linie sind die Personen im 80-Prozent-Perzentil, also das Prozent der Verteilung, das gerade oberhalb der Top-20-Prozent-Grenze der Lebenseinkommen liegt.
      • Die mittlere Linie trägt den Median ab.
      • Die untere Linie das 20-Prozent-Perzentil, also das Prozent der Verteilung, das gerade oberhalb der Unterste-20-Prozent-Grenze der Lebenseinkommen liegt.
  • Wohlgemerkt zeigen die Graphen nicht die Ungleichheit zwischen den Lebenseinkommen, sondern die Veränderung der jeweiligen Gruppe in der Verteilung im Vergleich zum Geburtsjahrgang 1935! Während die Lebenseinkommen der Geburtsjahrgänge zwischen 1935 und 1950 einigermaßen im Gleichschritt wuchsen, haben sie sich danach stark auseinanderentwickelt: Die Lebenseinkommen an der Grenze der Untersten 20 Prozent haben über rund 15 Geburtsjahrgänge stagniert und sind zuletzt (innerhalb der betrachteten Jahrgänge – für die jüngeren ist die Betrachtung noch mit zu großer Unsicherheit belegt, weil deren zukünftiges Einkommen ja nicht sicher prognostiziert werden kann), für die Generation der ab Ende der 1960er geborenen, sogar real gefallen!

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass sich ihre Stichprobe nur auf „westdeutsche Männer mit stabilen Erwerbsbiographien“ bezieht. Deswegen sei davon auszugehen, dass die Zunahme der Ungleichheit tendenziell unterschätzt würde. Bei Betrachtung auf Haushaltsebene könnte es sein, dass die wachsende Erwerbstätigkeit von Frauen dem Effekt entgegenwirkt – was die Spreizung der Löhne allerdings nicht ändert. Es muss dann bei niedrigen Löhnen pro Haushalt mehr gearbeitet werden, allein um ein konstantes Einkommen zu halten.

Die Autoren weisen auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Die geringere Ungleichheit der Lebenseinkommen älterer Generationen bedeutet, dass der Ungleichheitseffekt durch Erbschaften derzeit noch deutlich geringer ist, als in Zukunft zu erwarten sein dürfte. Neben dem demographischen Wandel (bald kommen deutlich weniger Erben auf einen Erblasser) werden also auch auseinanderdriftende Lebenseinkommen zu einer zusätzlichen Verschärfung der Vermögensungleichheit durch Erbschaften beitragen.

Es ist einfach absurd, dass der sogenannte Sachverständigenrat zu dem Schluss kommt, im Hinblick auf Verteilungsfragen bestehe „kein wirtschafts- oder arbeitsmarktpolitischer Handlungsbedarf“.

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