Harald Schumann, brillanter Investigativ-Journalist beim Tagespiegel und eine Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Wirtschaftsjournalisten, auch weil er die großen gesellschaftlichen Megathemen Ungleichheit und Ökologie schon lange und beharrlich thematisiert, hat mit einer Rede als Gast beim Demokratiekongress von Bündnis 90 / Die Grünen vor drei Jahren vieles von dem vorweggenommen, was wir heute erleben.
Der Titel seiner Key-Note-Rede lautet „Wirtschaftliche Macht und Demokratie“ – und er geht entsprechend auf die Lobbyverflechtungen zwischen Politik und ressourcenstarken Wirtschaftsinteressen (insbesondere der Finanzindustrie) ein und fordert eine „Wiederbelebung der parlamentarischen Idee“. Doch ihm gelingt ein noch viel scharfsinnigerer analytischer Bogen, um das Demokratieproblem in seinem eigentlichen Ausmaß zu ergründen. Schumann schlägt den Bogen zur Frage der sozialen Ungleichheit und begründet, warum diese eine Schlüsselfrage gesellschaftlichen Fortschritts ist:
Ja, ich weiß, da gibt es noch ganz andere, viel größere Aufgaben: das Megaproblem Klimawandel zum Beispiel, das seinerseits ein furchtbares Gerechtigkeitsproblem zwischen Nord und Süd aufwirft. Aber eines ist sicher: Es wird niemals politische Mehrheiten für einen globalen Klimapakt, eine Reduzierung unseres Ressourcenverbrauchs und einen fairen Nord-Süd-Ausgleich geben, wenn die Bürger wissen, dass die Lasten nicht fair verteilt werden.
Da gilt eine ganz simple Formel: Ohne lokale oder nationale Gerechtigkeit ist globale Gerechtigkeit unmöglich!
Mit anderen Worten: Verteilung ist nicht alles, aber ohne Verteilungsgerechtigkeit wird alles nichts.
Harald Schumann, Wirtschaftliche Macht und Demokratie, Rede am 13. März 2011
Wer sich von Ausgrenzung bedroht sieht, der trachtet seinerseits nach Ausgrenzung der noch Schwächeren und Fremden. Kaum etwas ist politisch so explosiv wie die Ausbreitung von Statusängsten. Denn diese verunsichern die Menschen in ihrer Identität, in ihrer Vorstellung über ihren Platz in der Gesellschaft. Dann suchen sie nach Absicherung nach unten, und das geht nun mal am ehesten über die Abwertung anderer. Und beinahe automatisch greifen damit wachsende soziale Spaltung, Rassismus und der Ruf nach Abschottung gegen das böse Ausland um sich. Also nicht die Armut selbst ist eine Gefahr für die Demokratie, aber die Angst davor, die nagt an ganz wichtigen Grundsätzen. Dies ist eine historische Konstante, die über alle Zeiten und Kulturen hinweg gilt: Wachsende Ungleichheit stärkt unvermeidlich die irrationalen politischen Kräfte.
Harald Schumann, Wirtschaftliche Macht und Demokratie, Rede am 13. März 2011
Schumanns Worte scheinen angesichts der derzeitigen Welle fremden- und minderheitenfeindlicher Ausbrüche in der Öffentlichkeit nur allzu zutreffend – und sie sollten all denjenigen, denen an einer freiheitlichen und offenen Gesellschaft gelegen ist, mahnen, sich gegen die wachsende soziale Ungleichheit einzusetzen. Es zeigt sich hier auf eine weitere Weise, wie Freiheit und Verteilungsfragen zutiefst miteinander zusammenhängen.
Die Rede von Harald Schumann am 13. März 2011 kann hier nachgelesen werden.
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