In seinem Bestseller “Capital in the 21st Century” hat Thomas Piketty – neben seinen bahnbrechenden empirischen Ergebnissen – ein kleines makroökonomisches Modell präsentiert, das zu intensiven Debatten über die Entwicklung von Vermögens- und Einkommensungleichheit geführt hat.
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In dieser Excel-Datei (.xlsx-Datei) habe ich versucht, auf Basis von Pikettys Modell einige Simulationen zu entwickeln, die selbst für Nicht-Spezialisten hilfreich sein sollten, um ein Gespür davon zu entwickeln, worum es in den Debatten über Pikettys Theorie eigentlich geht. Speziell betone ich die Bedeutung von unterschiedlichen Sparquoten (die oberen Einkommensgruppen sparen einen höheren Anteil ihrer Einkommen als die unteren) für die Entwicklung der Ungleichheit.
Ein besonders wichtiger Streitpunkt in der aktuellen Piketty-Debatte liegt in den Implikationen des Verhältnisses von r (Kapitalrendite) und g (Wirtschaftswachstum) für die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Pikettys Modell. Eine übliche Interpretation von Piketty besagt, dass das Verhältnis von Vermögen eines Landes zu dem jährlichen Nationaleinkommen (genannt „beta“) sowie die Vermögens- und Einkommensungleichheit immer dann zunehmen, wenn r > g gilt (vgl. die Diskussion in Larry Summers, “The Inequality Puzzle”). Diese Interpretation gibt Piketty tatsächlich selbst in der Einleitung zu seinem „Kapital im 21. Jahrhundert“:
When the rate of return on capital exceeds the rate of growth of output and income, as it did in the nineteenth century and seems quite likely to do again in the twenty-first, capitalism automatically generates arbitrary and unsustainable inequalities…
Thomas Piketty, Capital in the 21st Century
Piketty weiß natürlich und erklärt später in seinem Buch, dass r > g streng genommen nur dann steigende Ungleichheit notwendig impliziert, wenn die Sparquote aus Kapitaleinkommen bei 100 % liegt (vgl. Jakob Kapeller, “Die Rückkehr des Rentiers” (pdf)). Allerdings waren manche Ökonomen (z.B. Stefan Homburg, “Critical Remarks on Piketty’s ‘Capital in the 21st Century'” (pdf)) schnell dabei, Pikettys Analyse zu verwerfen, weil sie auf ebendieser eher unrealistischen Annahme zu beruhen scheint. Der naheliegende Schluss: Wenn Piketty hier schon falsch liege, warum sich überhaupt weiter mit dem Thema Ungleichheit herumschlagen? In der Zwischenzeit behaupteten wieder andere, dass im Gegenteil „steigende Ungleichheit nichts zu tun hat mit r > g“ (vgl. die Diskussion in Justin Wolfers, “Inequality and Growth” (pdf)).
Im Ergebnis ist die Debatte manchmal schwer nachzuvollziehen und besonders für Nicht-Spezialisten womöglich bisweilen frustrierend.
Deswegen könnte es lohnend sein, ein wenig mit den numerischen Simulationen von Pikettys Model „herumzuspielen“, die in der hier (.xlsx-Datei) verlinkten Excel-Datei enthalten sind. Die Simulationen sind nicht unbedingt historisch realistisch, aber sie mögen trotzdem hilfreich sein, eine Intuition zu der relativen Bedeutung der zentralen Parameter des Modells zu entwickeln und nachzuvollziehen, wie sich je nach Parameterkonstellation unterschiedliche Ergebnisse der Einkommens- und Vermögensungleichheit über verschiedene Zeithorizonte ergeben.
Eine allgemeine Schlussfolgerung, die aus den Simulationen gezogen werden kann, ist, dass die Bedeutung des r-g-Verhältnisses im Zusammenhang gesehen werden muss. Mindestens ebenso wichtig für die Entwicklung der Ungleichheit ist, dass die Sparquote (aus den gesamten Einkünften über den Lebensverlauf) von einkommensstärkeren Haushalten typischerweise höher ist als die von einkommensschwächeren Haushalten. Obwohl diese Feststellung ebenso intuitiv einleuchtend wie empirisch untermauert ist, wird sie von vielen makroökonomischen Modellen weiterhin ignoriert (oder per Annahme „repräsentativer Agenten“ wegdefiniert). Die Kritik etwa von Stefan Homburg basiert auf einem Modell, in dem es keine Einkommensgruppen mit unterschiedlichen Sparquoten gibt.
Wenn nämlich die Sparquoten unabhängig vom relativen Einkommen wären, dann wäre auch das Verhältnis von Vermögen zu Einkommen für die einzelnen Haushalte unabhängig von deren relativen Einkommen. Langfristig wäre dann die Vermögens- und Einkommensverteilung identisch mit der Lohnverteilung, und das Verhältnis von r und g wäre irrelevant für die Verteilungsentwicklung. Wenn hingegen die oberen Einkommensgruppen höhere Sparquoten haben als die unteren Einkommensgruppen, sind die Einkommen langfristig ungleicher verteilt als die Löhne, weil die Vermögen und Kapitaleinkommen ungleicher verteilt sind. Ein hohes r-g-Verhältnis verschärft dies natürlich.
Nun haben sich empirisch die Sparquoten einkommensstarker und einkommensschwacher Haushalte in den letzten Jahrzehnten, als auch die Einkommensungleichheit zunahm, vielerorts weiter auseinanderentwickelt. Mögliche Gründe dafür haben Kollegen und ich in einem vom Institute for New Economic Thinking (INET) geförderten Forschungsprojekt näher untersucht. Ausgangspunkt ist dabei die sogenannte Relative Einkommenshypothese des Konsums.