Umverteilung durch Bildung – aber keine Bildung durch Umverteilung?

Die Ungleichheitsdebatte in Deutschland ist in vollem Gange, zuletzt angefeuert durch das neue Buch des DIW-Chefs Marcel Fratzscher. Ein Kommentar im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung illustriert, inwiefern die Debatte um Ungleichheit (unter anderem) schräg ist.

Das neue Ungleichheitsbuch “Verteilungskampf” von Marcel Fratzscher, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, hat Wogen geschlagen. Der Spiegel widmete dem Buch seine Titelgeschichte, in den Wirtschaftsteilen der großen Zeitungen füllte es die Kommentarspalten.

Der Chef des Wirtschaftsteils der Süddeutschen Zeitung, Marc Beise, kommentiert die Geschichte wie aus dem wirtschaftsliberalen Lehrbuch:

(1) Es sei der neue Zeigeist, auf dessen Welle Fratzscher surfe.

(2) Nehme die Ungleichheit überhaupt zu? Wenn ja, wo genau? Und bei den Einkommen auch?

(3) Wenn ja, sei das zu ändern?

(4) Wenn ja, sei das wünschenswert? – Philosophen zerbrächen sich ja schon lange den Kopf über Verteilungsfragen und Gerechtigkeit

Zweifel säen: Nicht so schlimm mit der Ungleichheit, oder unabänderbar?

Beise geht dann näher auf Punkt (2) ein. Da sei die Sache ja komplex, Studien kämen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Zunahme der Ungleichheit sei am besten belegt bei den Vermögen. Bei den Einkommen sei das viel umstrittener.

Ohne abschließend über Punkt (2) zu urteilen, geht er dann auf die Ursachen des Ungleichheitstrends bei den Einkommen ein, über den er sich eigentlich gar nicht sicher war. Erklärung für diese – Beise zufolge möglicherweise gar nicht existierende – Ungleichheitszunahme sei nicht die Politik, sondern “die Globalisierung, die technische und wirtschaftliche Entwicklung und andere Faktoren”.

Wenn Politik keinen Einfluss haben soll auf “die Globalisierung, die technische und wirtschaftliche Entwicklung und andere Faktoren”, worauf eigentlich überhaupt noch?

Nicht mit Steuerpolitik “verzetteln”, Chancengleichheit schaffen

Aber das ist hier nicht so wichtig. Denn jetzt folgt eigentlich, worauf es Beise anzukommen scheint: “Es hilft den vielen Armen nicht, den vergleichsweise wenigen Reichen stärker zu Leibe zu rücken.” In Deutschland fände über das Sozialsystem bereits eine “gewaltige Umverteilung” statt. “Deswegen wäre es wichtig, sich hier nicht zu verzetteln”.

Denn das eigentliche Gerechtigkeitsproblem liege in der mangelnden Chancengleichheit. Beise klagt – zurecht! – die Ungerechtigkeit an, die darin liege: “Aus der Schicht, in die man geboren wird, gibt es kaum ein Entkommen”. Beise will aber offenbar nicht Gerechtigkeit schaffen, indem man die Schichten auch von der Besteuerungsseite her ändert, sondern lediglich, indem man die Chance auf ein Entkommen daraus ändert. (Um mit Hans-Werner Sinns Worten zuzuspitzen: “Und wenn wirklich die Gefahr besteht, dass die Zahl der Reichen im Verhältnis zur Zahl der Armen zu langsam wächst, ist die beste Medizin, dass man die Aufstiegschancen verbessert. Je mehr Tellerwäscher Millionäre werden, desto kleiner ist das Verteilungsproblem.”, FAZ 11.5.2014).

Bildung, Bildung, Bildung – einfach ganz oft sagen, statt finanzieren

Gründe, so Beise, für die Chancenungleichheit: Vor allem ein zu wenig durchlässiges Schulsystem und eine unzureichende frühkindliche Bildung. Man müsse also kämpfen für Kita-Ausbau, mehr und deutlich besser bezahlte Lehrer und Erzieher, bessere Schulen und “Förderprogramme in ärmeren Stadtvierteln”.

Das klingt alles sehr gut. Aber warum schreibt er dann: Hierfür zu kämpfen sei zielführender als “zähe Debatten über die Wiedererhebung der Vermögensteuer …, höhere Erbschaftsteuern …, oder die Anhebung des Spitzensteuersatzes” zu führen.

Liegen die Gründe für den schleppenden Kita-Ausbau, für die niedrigen Gehälter bei ErzieherInnen, für die vollen und maroden Klassenzimmer und für den Förderbedarf in ärmeren Stadtvierteln daran, dass Politik und Öffentlichkeit mit “zähen Debatten” über progressive Steuerpolitik beschäftigt sind – oder könnte es nicht viel mehr sein, dass es in den Punkten nicht voran geht, weil es ein strukturelles Finanzierungsproblem all dieser guten Maßnahmen gibt? Weil die wirtschaftspolitische Debatte, die Beise und Kollegen maßgeblich prägen, permanent davon abrät, genau den Reichtum unserer Gesellschaft heranzuziehen, mit dem wir uns die richtigen und wichtigen Maßenahmen, die ausgerechnet Beise aufzählt, sinnvollerweise finanzieren könnten?

Es ist wirklich verwunderlich: Ein Kernargument gegen umverteilende Politik, die Chancengerechtigkeit herstellen und finanzieren könnte, ist, dass man sich lieber mit Chancengerechtigkeit beschäftigen sollte als mit Umverteilung. Verstehe das, wer wolle.

INFORMIERT BLEIBEN

Newsletter (maximal ein bis zwei Mal im Monat) erhalten und über Verteilungsfragen auf dem Laufenden bleiben:

Nein danke, gerade nicht!