In Paris wurde im Dezember 2017 der erste „World Inequality Report“ veröffentlicht, Ergebnis eines international einzigartigen Projekts zur Erfassung der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen weltweit.
Die WID – Ein Meilenstein der Ungleichheitsforschung
Es ist ein gemeinschaftliches Großprojekt, das die Ungleichheitsforscher Thomas Piketty, Emmanuel Saez, Facundo Alvaredo, Gabriel Zucman und andere mit der World Wealth and Income Database (WID) ins Leben gerufen haben. Über 100 Ungleichheitsforscherinnen und –forscher weltweit bauen die Datenbank kontinuierlich aus und entwickeln sie weiter. Mittlerweile finden sich Daten zu Einkommen und Vermögen aus über 70 Ländern in der Datenbank – ein Meilenstein der ökonomischen Ungleichheitsforschung.
Die umfangreichen Daten zur Entwicklung der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen sind leicht zugänglich gemacht über die WID-Website, können dort individualisiert zusammengestellt werden und sind transparent nachvollziehbar mit detaillierten Infos zu den Ursprungsquellen. Hier setzte bereits Thomas Piketty mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ Maßstäbe, bei dem zu jeder Abbildung die Rohdaten über dessen persönliche Homepage zugänglich gemacht wurden.
Eine Besonderheit der Datenbank ist, dass die Daten zumeist nicht auf Haushaltsbefragungen basieren – Datensätze, bei denen häufig die Konzentration von Einkommen und Vermögen an der Spitze unterschätzt werden – sondern auf Steuerstatistiken und der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Auch Schätzungen zu Offshore-Vermögen werden einbezogen (vorsichtigen Berechnungen zufolge immerhin rund 8% der weltweiten Vermögen).
Der nun auf einer eigens veranstalteten Konferenz veröffentlichte erste World Inequality Report fasst wichtige Befunde der Datenarbeit zusammen.
Globale Trends der Einkommensungleichheit
Der Bericht zeigt, dass die Ungleichheit der Einkommen weltweit sehr unterschiedlich stark ausgeprägt ist, sie jedoch in den meisten Weltregionen zugenommen hat.
- So betrug 2016 der Anteil der obersten 10% der Einkommensbezieher am gesamten Einkommen 37% in Europa, 41% in China, 46% in Russland, 47% in USA/Kanada und rund 55% in Subsahara-Afrika, Brasilien und Indien. Im Nahen Osten sind dies sogar krasse 61 %.
- Die Veränderung seit den 1980er Jahren fiel dabei sehr unterschiedlich aus: besonders rasant hat die Ungleichheit in Russland und Indien und auch in China zugenommen, während die Zunahme in Europa vergleichsweise zaghaft war. Im Nahen Osten sank der Anteil der Spitzeneinkommen dagegen von einem noch höheren Niveau ab.
- Weltweit hat das oberste Prozent der Einkommensbezieher doppelt so stark vom Wirtschaftswachstum seit den 1980er-Jahren profitiert wie die ärmeren 50% der Weltbevölkerung, wobei letztere ebenfalls ein deutliches Wachstum verzeichneten. 27% des Wachstums seit 1980 gingen allein an das oberste Prozent der globalen Einkommensverteilung. Die „globale Mittelschicht“, zu der die einkommensärmsten 90% in der EU und den USA zählen, wurde in der Verteilung zusammengestaucht (was sich im sogenannten Elephant-Graph zeigt):
Die Autoren machen deutlich, dass die globale Konvergenz der Einkommensschichten nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch in den großen Aufholländern Indien und China die Ungleichheit stark zugenommen hat.
Unterschiede zwischen USA und Europa
Konstrastiert wird bei dem Bericht auch die Entwicklung der Einkommensungleichheit zwischen Europa und den USA. Während in den USA der Anteil des obersten Prozents an den Einkommen den der unteren Hälfte bereits Mitte der 1990er-Jahre überholt hat, war die Ungleichheitszunahme in Europa weniger drastisch. Verantwortlich machen die Autoren Unterschiede in der Lohnpolitik, im Bildungssystem und in der Steuerpolitik: Die USA hätten eine „massive Bildungsungleichheit“ und eine weniger progressive Besteuerung von Einkommen – in der Hinsicht hätte in Europa einiges abgefedert werden können:
Ein weiterer Aspekt: Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen hätten zwar in beiden Regionen abgenommen, seien jedoch weiterhin besonders stark an der Spitze der Verteilung ausgeprägt.
Private und öffentliche Vermögen
Ein weiterer Fokus des World Inequality Reports liegt auf der Entwicklung privater und öffentlicher Vermögen – eine Betrachtung, die Piketty bereits in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ in den Blick nahm. Generell ist der Bestand an Vermögen im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung stark gewachsen. Allerdings hat sich die Position des öffentlichen Sektors in fast allen Ländern seit den 1980er-Jahren stark verschlechtert: das öffentliche Vermögen liegt nach Jahrzehnten der Privatisierungspolitik in den reichen Ländern heute nahe Null oder im negativen Bereich.
Der zentrale Punkt der Autoren: Dadurch verringere sich der Spielraum der Regierungen, etwas gegen die Ungleichheit zu unternehmen.
Außerdem sei die Entwicklung bei privaten Vermögen – anders als naturgemäß in demokratischen Wohlfahrtsstaaten bei öffentlichen Vermögen – in Richtung einer starken Konzentration der Vermögen gepolt.
Politikempfehlungen
Angesichts der starken Ungleichheitszunahme empfehlen die Autoren umfangreiche Politikmaßnahmen zur weltweiten Reduzierung der Ungleichheit. Verschiedene mögliche Zukunftsszenarien hingen zentral daran ab, wie demokratische Politik auf die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte reagiere und wie sie die Weichen für die Zukunft stelle.
Im Bericht schlagen sie folgende Maßnahmen vor:
- Steuerprogression als bewährtes Instrument der Ungleichheitsbekämpfung zurück auf die politische Tagesordnung setzen – auch um Spielräume für staatliche Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen
- Ein globales Finanzregister aufbauen, um Steuerflucht und Geldwäsche, und damit auch die Ungleichheit zu bekämpfen
- Gleicher Zugang zu Bildung und guter Beschäftigung
- Verbesserung der betrieblichen Mitbestimmung und angemessene Mindestlöhne
- Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Umweltschutz
In dem Bericht warnen die Autoren mit drastischen Worten davor, das Problem der Ungleichheit weiterhin politisch zu ignorieren:
Wir sind jedoch der Überzeugung, dass wachsende Ungleichheit, sofern sie nicht adäquat beobachtet und angegangen wird, zu verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen führen kann.
Der World Inequality Report wie die deutschsprachige Kurzfassung, der die Abbildungen dieses Beitrags entnommen sind, stehen unter einer Creative Commons licence (4.0 – CC by-n C-sa 4.0).
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